Die Vorstellung, dass Weihnachten, das Fest der Freude, der Familie und des Friedens, jemals verboten gewesen sein könnte, mag vielen unglaublich erscheinen. Doch genau das geschah im England des 17. Jahrhunderts, einer Zeit tiefgreifender politischer und religiöser Umwälzungen. Das Verbot von Weihnachten ist ein faszinierendes, wenn auch oft übersehenes Kapitel der englischen Geschichte, das die Macht religiösen Eifers, den Konflikt zwischen Staat und Tradition sowie die Widerstandsfähigkeit kultureller Bräuche eindrucksvoll beleuchtet. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe, die Umsetzung und die Auswirkungen dieses einzigartigen Verbots, das unter der puritanischen Herrschaft des Interregnums stattfand.
1. Englands 17. Jahrhundert: Eine Zeit der Umwälzungen
Um das Verbot von Weihnachten zu verstehen, muss man sich zunächst das England des 17. Jahrhunderts vor Augen führen. Es war eine Ära extremer Spannungen, die schließlich im Englischen Bürgerkrieg (1642-1651) mündeten. Dieser Konflikt war nicht nur ein Kampf um politische Macht zwischen König Karl I. und dem Parlament, sondern auch ein erbitterter Glaubenskrieg. Die etablierte anglikanische Kirche, die unter Karl I. zunehmend katholische Züge annahm und von vielen als zu zeremoniell und „papistisch“ empfunden wurde, stand im Gegensatz zu aufstrebenden protestantischen Strömungen, insbesondere den Puritanern.
Die Puritaner waren eine religiöse Bewegung innerhalb des Protestantismus, die eine „Reinigung“ der Kirche von allen als unbiblisch empfundenen Traditionen und Ritualen anstrebte. Sie lehnten Hierarchien, aufwendige Gottesdienste, Heiligenverehrung und viele der traditionellen Feste ab, die sie als Überbleibsel des Katholizismus oder gar als heidnisch betrachteten. Für sie stand die direkte Beziehung des Individuums zu Gott, die persönliche Frömmigkeit und die strikte Einhaltung biblischer Gebote im Vordergrund. Ihr Einfluss wuchs stetig, insbesondere im Parlament und unter den Kaufleuten und Handwerkern der Städte. Als der Bürgerkrieg ausbrach und das Parlament unter der Führung von Persönlichkeiten wie Oliver Cromwell die Oberhand gewann, sahen die Puritaner ihre Chance gekommen, England nach ihren strengen moralischen und religiösen Vorstellungen umzugestalten.
2. Die puritanische Weltanschauung und das Problem Weihnachten
Für die Puritaner war Weihnachten ein Ärgernis. Sie hatten mehrere fundamentale Einwände gegen das Fest, wie es im England ihrer Zeit gefeiert wurde:
- Mangelnde biblische Grundlage: Nirgendwo in der Bibel wird die Feier der Geburt Christi als religiöses Gebot erwähnt. Die Puritaner argumentierten, dass nur das gefeiert werden sollte, was explizit in der Heiligen Schrift angeordnet ist.
- Heidnische Wurzeln: Viele Aspekte der Weihnachtsfeierlichkeiten, wie das Schmücken mit immergrünen Pflanzen, das Verbrennen des Weihnachtsscheits oder das Festmahl, hatten Ursprünge in vorchristlichen, heidnischen Wintersonnenwendritualen. Für die Puritaner waren dies „paganische“ Überbleibsel, die mit wahrer christlicher Frömmigkeit unvereinbar waren.
- Assoziation mit Katholizismus: Weihnachten war ein zentraler Bestandteil des katholischen Kirchenjahres. Für die Puritaner, die alles Katholische ablehnten, war die Feier ein Symbol der „papistischen“ Verunreinigung, die sie aus der englischen Kirche entfernen wollten.
- Ausschweifung und Sündhaftigkeit: Weihnachten war traditionell eine Zeit der Ausgelassenheit, des Trinkens, des Essens, des Tanzens und des Spiels. Für die asketisch veranlagten Puritaner, die Arbeit, Bescheidenheit und Nüchternheit als Tugenden betrachteten, waren diese Feierlichkeiten ein Hort der Sünde und der moralischen Verderbnis. Sie sahen darin eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, die besser für Gebet und Arbeit genutzt werden könnten.
- Kommerzialisierung: Schon damals gab es Elemente der Kommerzialisierung und des Materialismus, die den Puritanern zuwider waren.
Anstatt Weihnachten zu feiern, forderten die Puritaner die Menschen auf, den Tag wie jeden anderen Arbeitstag zu behandeln und sich auf Gebet und Fasten zu konzentrieren, um ihre Sünden zu bereuen. Sie betonten die Bedeutung des Sabbats (Sonntag) als den einzig wahren Ruhetag, der biblisch begründet sei.
3. Das Verbot: Chronologie und Umsetzung
Das Verbot von Weihnachten kam nicht über Nacht, sondern war das Ergebnis eines schrittweisen Prozesses, der mit dem wachsenden Einfluss des Parlaments und der Puritaner einherging:
- Frühe Versuche (1640er Jahre): Bereits vor dem offiziellen Verbot gab es Versuche, die Weihnachtsfeierlichkeiten einzudämmen. 1642, kurz nach Beginn des Bürgerkriegs, erließ das Parlament eine Anordnung, die alle Theater schloss – eine Maßnahme, die auch die Weihnachtszeit betraf, da Theateraufführungen oft Teil der Festlichkeiten waren.
- Die Ordinanz von 1644: Der entscheidende Schritt erfolgte im Dezember 1644. Das Parlament erließ eine Ordinanz, die den 25. Dezember und andere traditionelle Feiertage (wie Ostern und Pfingsten) als Tage des Fastens und der Buße statt des Feierns deklarierte. Geschäfte und Märkte sollten geöffnet bleiben, und es war den Menschen untersagt, sich in Vergnügungen oder Festlichkeiten zu ergehen. Diese Anordnung war zunächst eher eine Empfehlung, aber sie zeigte die Richtung an.
- Verstärkung und Durchsetzung (1647): Mit dem Ende des Bürgerkriegs und der Etablierung der parlamentarischen Herrschaft wurde das Verbot 1647 verschärft. Eine weitere Ordinanz des Parlaments erklärte alle kirchlichen Feiertage, einschließlich Weihnachten, für abgeschafft. Minister wurden angewiesen, keine besonderen Gottesdienste abzuhalten, und die Bevölkerung sollte ihre Geschäfte wie an jedem anderen Werktag verrichten. Soldaten patrouillierten in den Straßen, um sicherzustellen, dass Geschäfte geöffnet blieben und keine Zeichen von Feierlichkeiten zu sehen waren. Weihnachtsmärkte wurden aufgelöst, festliche Dekorationen entfernt und sogar das Singen von Weihnachtsliedern konnte geahndet werden. Wer gegen das Verbot verstieß, riskierte Geldstrafen oder sogar Gefängnis.
- Oliver Cromwells Rolle: Obwohl Oliver Cromwell, der später Lordprotektor wurde, oft als derjenige genannt wird, der Weihnachten verbot, war es tatsächlich das Parlament, das die Gesetze erließ. Cromwell war jedoch eine treibende Kraft hinter der puritanischen Revolution und unterstützte die Maßnahmen voll und ganz. Unter seiner Herrschaft (ab 1653) wurde das Verbot konsequent durchgesetzt, und die puritanische Moral prägte das öffentliche Leben.
4. Öffentliche Reaktion und Widerstand
Die Bevölkerung nahm das Verbot keineswegs widerspruchslos hin. Weihnachten war tief in der englischen Kultur verwurzelt, und für viele war es nicht nur ein religiöses, sondern auch ein wichtiges soziales und familiäres Ereignis. Der Widerstand war vielfältig:
- Proteste und Aufstände: Es kam zu spontanen Protesten und sogar zu kleinen Aufständen, insbesondere in den Jahren unmittelbar nach dem Verbot. Ein bekanntes Beispiel sind die sogenannten „Plum Pudding Riots“ von 1647 in Canterbury, wo die Bürger das Verbot missachteten, die Geschäfte schlossen und die Soldaten, die das Verbot durchsetzen sollten, angriffen. Ähnliche Unruhen gab es in anderen Städten wie Ipswich und Bury St Edmunds.
- Geheime Feiern: Viele Familien feierten Weihnachten im Geheimen, hinter verschlossenen Türen. Sie hielten an ihren Traditionen fest, schmückten ihre Häuser diskret und genossen festliche Mahlzeiten im kleinen Kreis. Dies war ein Akt des zivilen Ungehorsams und ein Ausdruck der kulturellen Identität.
- Veröffentlichung von Pamphleten: Es wurden Pamphlete und Flugblätter veröffentlicht, die das Verbot kritisierten und die Bedeutung von Weihnachten verteidigten. Diese Schriften trugen dazu bei, den Widerstand zu organisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
- Kultureller Konflikt: Das Verbot legte einen tiefen Riss in die englische Gesellschaft offen – zwischen den strengen Puritanern, die eine theokratische Ordnung anstrebten, und der Mehrheit der Bevölkerung, die an ihren traditionellen Bräuchen festhalten wollte. Es war ein Konflikt zwischen religiösem Dogma und populärer Kultur.
5. Das Ende des Verbots: Die Restauration
Das Ende des Verbots war eng mit dem politischen Wandel in England verknüpft. Nach Oliver Cromwells Tod im Jahr 1658 und einer kurzen Phase politischer Instabilität brach das Commonwealth zusammen. Die Bevölkerung war müde der strengen puritanischen Moral und sehnte sich nach der Rückkehr zur alten Ordnung.
Im Jahr 1660 wurde die Monarchie wiederhergestellt, und Karl II., der Sohn des hingerichteten Karl I., bestieg den Thron. Dieses Ereignis, bekannt als die Restauration, markierte das Ende der puritanischen Herrschaft und ihrer strengen Gesetze. Mit der Rückkehr des Königs kehrten auch die traditionellen Feste und Vergnügungen zurück. Weihnachten wurde sofort wieder als Feiertag anerkannt und gefeiert, oft mit noch größerer Ausgelassenheit als zuvor, als Ausdruck der Erleichterung und der Ablehnung der puritanischen Askese.
Obwohl das Verbot nur etwa 16 Jahre dauerte, hatte es langfristige Auswirkungen. Es trug dazu bei, einige der älteren, wilderen Weihnachtsbräuche zu mildern, und förderte eine stärker familiär und häuslich orientierte Feier. Es zeigte auch die Widerstandsfähigkeit von Traditionen gegenüber staatlicher und religiöser Kontrolle.
Fazit
Das Verbot von Weihnachten in England ist ein faszinierendes Kapitel der Geschichte, das die extremen Ausprägungen religiösen Eifers und die Komplexität des Verhältnisses zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft aufzeigt. Es war ein Versuch, eine ganze Kultur im Namen einer spezifischen religiösen Ideologie umzugestalten, und es scheiterte letztlich am tief verwurzelten Bedürfnis der Menschen nach Feier, Gemeinschaft und Tradition.
Heute ist Weihnachten in England, wie in vielen Teilen der Welt, ein zentrales Fest, das sowohl religiöse als auch säkulare Bedeutungen in sich vereint. Die Episode des Verbots erinnert uns daran, wie zerbrechlich und doch gleichzeitig widerstandsfähig kulturelle Bräuche sein können und wie wichtig die Freiheit ist, die eigenen Traditionen zu pflegen. Das 17. Jahrhundert war eine Zeit, in der die Engländer lernten, dass selbst die mächtigste Regierung nicht die Freude an einem geliebten Fest vollständig unterdrücken kann. Weihnachten, einst verboten, kehrte triumphierend zurück und hat seitdem seinen festen Platz im Herzen der englischen Kultur behauptet.