Weihnachten in Italien (italienisch: Natale in Italia) ist eine der wichtigsten und am tiefsten verwurzelten Feierlichkeiten im italienischen Jahreszyklus. Es ist eine Zeit, die von tiefem religiösem Glauben, starken familiären Bindungen und einer Fülle von kulinarischen Traditionen geprägt ist. Die Weihnachtszeit in Italien erstreckt sich über mehrere Wochen, beginnend traditionell am 8. Dezember mit dem Fest der Unbefleckten Empfängnis (Immacolata Concezione) und endend am 6. Januar mit dem Dreikönigstag (Epifania), der auch als Fest der Befana bekannt ist. Im Gegensatz zu vielen nordeuropäischen Ländern, wo der Weihnachtsbaum im Mittelpunkt steht, spielt in Italien die Krippe (Presepe) eine herausragende Rolle.
1. Historischer Kontext und Ursprünge
Die Wurzeln des italienischen Weihnachtsfestes reichen weit zurück und sind eng mit vorchristlichen Wintersonnenwenden-Ritualen sowie der römischen Saturnalienfeier verbunden, die den Übergang in die längeren Tage markierte. Mit der Christianisierung Europas wurden viele dieser Bräuche umgedeutet und in den christlichen Kontext integriert. Die Geburt Christi, die historisch nicht genau datiert ist, wurde auf den 25. Dezember gelegt, um die heidnischen Feste zu überlagern und ihnen eine neue Bedeutung zu verleihen.
Ein zentrales Element des italienischen Weihnachtsfestes, die Krippe (Presepe), hat eine besonders bedeutsame Geschichte. Der Überlieferung nach geht die erste lebende Krippendarstellung auf den Heiligen Franz von Assisi zurück, der im Jahr 1223 in Greccio (Latium) die Weihnachtsgeschichte mit echten Tieren und Menschen nachstellte, um den Gläubigen die Armut und Demut der Geburt Jesu näherzubringen. Diese Tradition verbreitete sich rassch in ganz Italien und wurde zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Weihnachtsfeierlichkeiten, sowohl in Kirchen als auch in privaten Haushalten. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die Krippenkunst, insbesondere in Neapel, zu einer hochfeinen Handwerkskunst mit detailreichen Figuren und aufwendigen Szenerien.
2. Die Vorweihnachtszeit und Advent
Die Weihnachtszeit beginnt in Italien offiziell am 8. Dezember mit dem Feiertag der Immacolata Concezione (Unbefleckte Empfängnis Mariens). Dieser Tag markiert den Beginn der festlichen Vorbereitungen. Viele Italiener nutzen diesen Tag, um ihre Häuser zu schmücken, die Krippe aufzustellen und den Weihnachtsbaum zu dekorieren.
- Der Presepe (Die Krippe): Die Krippe ist das Herzstück der italienischen Weihnachtsdekoration. Sie wird oft über Wochen hinweg aufgebaut und liebevoll gestaltet. In vielen Familien ist es Tradition, dass die Figur des Jesuskindes erst in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember in die Krippe gelegt wird. Die Krippen können von einfachen Darstellungen bis hin zu aufwendigen, oft mechanisierten Szenerien reichen, die ganze Landschaften und Alltagsszenen des alten Bethlehem oder des historischen Italiens nachbilden. Besonders berühmt sind die neapolitanischen Krippen (Presepi napoletani), die oft hunderte von Figuren umfassen und als eigenständige Kunstwerke gelten.
- Der Albero di Natale (Der Weihnachtsbaum): Obwohl der Weihnachtsbaum ursprünglich eine germanische Tradition ist, hat er sich in Italien seit dem 20. Jahrhundert zunehmend etabliert und existiert heute oft neben der Krippe. Er wird mit Lichtern, Kugeln und Girlanden geschmückt und steht meist im Wohnzimmer.
- Adventszeit und Märkte: Die Adventszeit in Italien ist weniger stark ausgeprägt als in den deutschsprachigen Ländern. Adventskalender sind zwar bekannt, aber nicht so weit verbreitet. Dafür gewinnen Weihnachtsmärkte (Mercatini di Natale) in den größeren Städten und touristischen Regionen, insbesondere im Norden Italiens, zunehmend an Beliebtheit und bieten Kunsthandwerk, lokale Spezialitäten und festliche Atmosphäre.
- Novene: In den Tagen vor Weihnachten ist es in vielen Regionen Brauch, die sogenannte Novena zu begehen. Dies sind neun Tage des Gebets und der Besinnung, oft begleitet von Weihnachtsliedern und dem Besuch von Kirchen.
3. Der Heilige Abend (24. Dezember – La Vigilia)
Der Heilige Abend, auf Italienisch La Vigilia di Natale, ist ein Abend der Erwartung und des Fastens, bevor das eigentliche Weihnachtsfest beginnt. Traditionell wird an diesem Abend kein Fleisch gegessen, um sich auf die Geburt Christi vorzubereiten.
- Cena di Magro (Fastenmahl): Das Abendessen am 24. Dezember ist ein "Magermahl" (cena di magro), das hauptsächlich aus Fisch und Meeresfrüchten besteht. Die Gerichte variieren stark je nach Region, aber beliebte Speisen sind baccalà (Stockfisch), frutti di mare (Meeresfrüchte), Spaghetti mit Muscheln (spaghetti alle vongole) oder verschiedene Arten von gebratenem oder gebackenem Fisch. Es ist ein üppiges Mahl, das trotz des Verzichts auf Fleisch oft viele Gänge umfasst.
- Messa di Mezzanotte (Mitternachtsmesse): Ein Höhepunkt des Heiligen Abends ist die Mitternachtsmesse. Viele Familien besuchen die Kirche, um die Geburt Christi zu feiern. Die Messe ist oft sehr feierlich und stimmungsvoll, begleitet von Weihnachtsliedern. Nach der Messe kehren die Familien nach Hause zurück, wo oft das Jesuskind in die Krippe gelegt wird.
- Geschenke: In den letzten Jahrzehnten hat sich die Tradition, Geschenke bereits am Heiligen Abend auszutauschen, immer mehr durchgesetzt, oft nach der Mitternachtsmesse oder kurz vor Mitternacht. Ursprünglich war der 6. Januar (Epifania) der Haupttag für Geschenke.
4. Der Weihnachtstag (25. Dezember – Natale)
Der 25. Dezember, Natale, ist der eigentliche Weihnachtstag und ein nationaler Feiertag. Er ist der Tag der Familie, des üppigen Essens und der Freude.
- Pranzo di Natale (Weihnachtsessen): Das Mittagessen am Weihnachtstag ist das wichtigste und opulenteste Mahl der gesamten Weihnachtszeit. Im Gegensatz zur Vigilia ist es ein Festmahl mit Fleischgerichten. Typische Gerichte sind Lasagne, Tortellini in brodo (Tortellini in Brühe), gefüllte Nudeln, Braten (arrosto) wie Lamm, Kapaun oder Truthahn, oft begleitet von verschiedenen Beilagen. Das Essen zieht sich oft über Stunden hin und ist ein zentraler Moment des familiären Zusammenkommens.
- Geschenke: Auch am Weihnachtstag werden Geschenke ausgetauscht, insbesondere wenn die Bescherung nicht bereits am Vorabend stattfand. Die Kinder erwarten oft den Babbo Natale (Weihnachtsmann), der die Geschenke bringt.
- Der Papstsegen "Urbi et Orbi": Für viele Italiener, insbesondere Katholiken, ist die Übertragung des päpstlichen Segens "Urbi et Orbi" vom Petersplatz in Rom ein wichtiger Bestandteil des Weihnachtstages.
5. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr
- Santo Stefano (26. Dezember): Der 26. Dezember, der Stephanstag, ist ebenfalls ein nationaler Feiertag in Italien. Er wird oft genutzt, um Verwandte zu besuchen, die man am Weihnachtstag nicht sehen konnte, oder um sich von den Festlichkeiten des Vortages zu erholen. Es ist ein ruhigerer Tag, der die familiäre Atmosphäre der Weihnachtszeit fortsetzt.
- Silvester (31. Dezember – San Silvestro / Capodanno): Silvester wird in Italien ausgelassen gefeiert, oft mit großen Feuerwerken und Partys. Ein traditionelles Silvesteressen ist Cotechino oder Zampone (eine Art Wurst) mit Linsen (lenticchie). Die Linsen sollen im kommenden Jahr Glück und Reichtum bringen. Um Mitternacht stößt man mit Sekt an und wünscht sich ein gutes neues Jahr.
6. Epifania und das Ende der Weihnachtszeit (6. Januar – La Befana)
Der 6. Januar, der Dreikönigstag (Epifania), markiert das offizielle Ende der Weihnachtszeit in Italien und ist ein weiterer wichtiger Feiertag, der eng mit der Figur der Befana verbunden ist.
- La Befana: Die Befana ist eine alte, aber freundliche Hexe, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar auf ihrem Besen fliegt und den Kindern Geschenke bringt. Brave Kinder erhalten Süßigkeiten, Nüsse und kleine Spielzeuge, während unartige Kinder ein Stück "Kohle" (carbone) bekommen – heutzutage meist eine schwarze, zuckerhaltige Süßigkeit, die wie Kohle aussieht. Die Legende besagt, dass die Befana die Heiligen Drei Könige auf ihrer Reise zum Jesuskind traf, sich aber weigerte, sie zu begleiten. Später bereute sie ihre Entscheidung und fliegt seitdem jedes Jahr umher, um das Jesuskind zu suchen und dabei allen Kindern Geschenke zu bringen.
- Geschenke: Historisch war der 6. Januar der Haupttag für die Bescherung in Italien, und die Befana war die primäre Figur, die Geschenke brachte, noch vor dem Weihnachtsmann. Obwohl der Weihnachtsmann (Babbo Natale) in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat, bleibt die Befana eine tief verwurzelte und geliebte Tradition, insbesondere für die Kinder.
- Ende der Feierlichkeiten: Nach dem 6. Januar werden die Weihnachtsdekorationen abgebaut und die festliche Zeit ist offiziell beendet.
7. Kulinarische Traditionen
Die italienische Weihnachtsküche ist reich und vielfältig, mit starken regionalen Unterschieden. Dennoch gibt es einige Speisen, die landesweit beliebt sind:
- Süßspeisen:
- Panettone: Ein hoher, kuppelförmiger Kuchen aus Hefeteig mit kandierten Früchten und Rosinen, ursprünglich aus Mailand.
- Pandoro: Ein sternförmiger, goldener Kuchen aus Hefeteig, oft mit Puderzucker bestreut, ursprünglich aus Verona.
- Torrone: Eine Art weißer Nougat aus Honig, Eiweiß und Nüssen (Mandeln, Haselnüsse, Pistazien).
- Struffoli: Kleine frittierte Teigbällchen, die mit Honig überzogen und mit bunten Streuseln verziert werden (besonders in Süditalien, v.a. Neapel).
- Cartellate: Rosettenförmiges Gebäck aus Apulien, in Honig getaucht.
- Hauptgerichte:
- Vigilia (24. Dez.): Baccalà (Stockfisch), frutti di mare (Meeresfrüchte), Spaghetti alle vongole (Spaghetti mit Muscheln).
- Natale (25. Dez.): Tortellini in brodo (Tortellini in Brühe), Lasagne, Arrosto (Braten von Lamm, Kapaun, Truthahn), Cotechino/Zampone mit Linsen (oft auch an Silvester).
8. Regionale Besonderheiten
Italien ist ein Land der regionalen Vielfalt, und dies spiegelt sich auch in den Weihnachtsbräuchen wider:
- Süditalien (insbesondere Neapel): Hier ist die Krippentradition am stärksten ausgeprägt. Die Via San Gregorio Armeno in Neapel ist weltberühmt für ihre Krippenwerkstätten, die das ganze Jahr über geöffnet sind. Auch die musikalische Tradition der Zampognari (Dudelsackspieler), die Hirtenlieder spielen, ist hier besonders lebendig.
- Norditalien: In den nördlichen Regionen, die kulturell näher an Mitteleuropa liegen (z.B. Südtirol, Friaul-Julisch Venetien), sind Weihnachtsbaum und Weihnachtsmärkte stärker verbreitet. Die Küche zeigt hier auch Einflüsse aus Österreich und Deutschland.
- Sizilien: Bekannt für seine einzigartigen Weihnachtssüßigkeiten und die Tradition der Krippenspiele (pastorali).
9. Musik und Kunst
Weihnachten in Italien ist auch eine Zeit der Musik und Kunst. Traditionelle Weihnachtslieder (canti natalizi) werden in Kirchen und Familien gesungen. Die bereits erwähnten Zampognari tragen mit ihrer pastoralen Musik zur festlichen Stimmung bei, insbesondere in den südlichen Regionen. Die Kunst der Krippenherstellung ist ein wichtiger kultureller Ausdruck, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.
10. Kommerzielle Aspekte
Wie in vielen anderen Ländern hat auch in Italien der kommerzielle Aspekt von Weihnachten zugenommen. Die Wochen vor Weihnachten sind eine wichtige Zeit für den Einzelhandel, mit geschmückten Einkaufsstraßen und Einkaufszentren. Der Austausch von Geschenken ist ein fester Bestandteil der Feierlichkeiten geworden, was zu einem Anstieg des Konsums führt. Trotzdem bleibt der familiäre und religiöse Charakter des Festes in Italien sehr stark ausgeprägt.
Fazit
Weihnachten in Italien ist eine tief verwurzelte Feier, die eine einzigartige Mischung aus religiöser Andacht, familiärer Verbundenheit und reicher kulinarischer Tradition darstellt. Von der kunstvollen Krippe über das üppige Weihnachtsmahl bis hin zur charmanten Befana am Dreikönigstag – die italienischen Weihnachtsbräuche spiegeln die kulturelle Vielfalt und die tiefe Wertschätzung für Gemeinschaft und Tradition wider. Es ist eine Zeit, in der das Erbe der Vergangenheit mit den Freuden der Gegenwart verschmilzt und eine unvergleichliche festliche Atmosphäre schafft.