Weihnachten in Russland
Weihnachten in Russland (russisch: Рождество Христово, Roschdestwo Christowo, „Geburt Christi“) ist ein bedeutendes religiöses und kulturelles Fest, das von der Russisch-Orthodoxen Kirche und anderen orthodoxen Konfessionen in Russland gefeiert wird. Anders als in der westlichen Welt, wo Weihnachten am 25. Dezember nach dem Gregorianischen Kalender begangen wird, fällt das orthodoxe Weihnachtsfest in Russland auf den 7. Januar des Gregorianischen Kalenders, da die Russisch-Orthodoxe Kirche weiterhin den Julianischen Kalender für ihre liturgischen Feste verwendet. Historisch und kulturell ist das russische Weihnachtsfest eng mit dem Neujahrsfest verbunden, das in der Sowjetzeit als wichtigster Winterfeiertag etabliert wurde und bis heute eine zentrale Rolle spielt.
Inhaltsverzeichnis
- Historischer Kontext
- Vorrevolutionäre Zeit
- Sowjetzeit: Verbot und Transformation
- Post-Sowjetzeit: Wiederbelebung
- Datum und Kalender
- Religiöse Bedeutung und Bräuche
- Philippus-Fasten
- Heiligabend (6. Januar)
- Weihnachtsgottesdienst
- Weihnachtstag (7. Januar)
- Svyatki (Heilige Tage)
- Weltliche Bräuche und Neujahrsfest
- Ded Moroz und Snegurotschka
- Die Jolka (Weihnachts-/Neujahrsbaum)
- Geschenke und Festlichkeiten
- Herausforderungen und Moderne Entwicklungen
- Vergleich mit westlichen Weihnachtsbräuchen
- Siehe auch
- Literatur
- Weblinks
1. Historischer Kontext
Die Geschichte des Weihnachtsfestes in Russland ist eng mit den politischen und sozialen Umwälzungen des Landes verbunden, insbesondere mit der Oktoberrevolution und der Ära der Sowjetunion.
1.1. Vorrevolutionäre Zeit
Vor der Oktoberrevolution von 1917 war Weihnachten (Roschdestwo) neben Ostern das wichtigste religiöse Fest im Russischen Reich. Es wurde als tief religiöses Ereignis gefeiert, das die Geburt Jesu Christi in den Mittelpunkt stellte. Die Feierlichkeiten begannen mit einer strengen Fastenzeit, gefolgt von feierlichen Gottesdiensten und Familienzusammenkünften. Der Weihnachtsbaum, bekannt als Jolka, wurde im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss deutscher Traditionen populär und war ein fester Bestandteil der Feierlichkeiten. Geschenke wurden oft am Weihnachtsabend oder am Weihnachtstag ausgetauscht.
1.2. Sowjetzeit: Verbot und Transformation
Nach der Oktoberrevolution 1917 und der Etablierung des atheistischen Sowjetstaates wurden religiöse Feiertage, einschließlich Weihnachten, schrittweise verboten und unterdrückt. Ab den späten 1920er Jahren war die öffentliche Feier von Weihnachten nicht mehr gestattet. Kirchen wurden geschlossen, Geistliche verfolgt, und religiöse Symbole wurden aus dem öffentlichen Leben verbannt.
Um das Vakuum der Winterfeiertage zu füllen und eine säkulare Alternative zu schaffen, wurde das Neujahrsfest (Новый год, Nowy God) zur zentralen Winterfeier stilisiert. Viele der weihnachtlichen Bräuche wurden auf das Neujahr übertragen:
- Der Weihnachtsbaum wurde zum Neujahrsbaum (Nowogodnjaja Jolka).
- Väterchen Frost (Ded Moroz), eine Figur aus der russischen Folklore, die dem westlichen Weihnachtsmann ähnelt, wurde zum Hauptsymbol des Neujahrsfestes und verteilte Geschenke. Er wurde von seiner Enkelin Snegurotschka (Schneeflöckchen) begleitet.
- Die Tradition des Schenkens und des festlichen Essens wurde auf den Neujahrsabend verlegt.
Diese Transformation war so erfolgreich, dass das Neujahrsfest bis heute der wichtigste und populärste Winterfeiertag in Russland geblieben ist, selbst nach der Wiederbelebung des religiösen Weihnachtsfestes.
1.3. Post-Sowjetzeit: Wiederbelebung
Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Wiedererlangung der Religionsfreiheit in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren erlebte das orthodoxe Weihnachtsfest eine Wiederbelebung. Seit 1991 ist der 7. Januar in Russland wieder ein offizieller Feiertag. Kirchen wurden restauriert und neu gebaut, und die Menschen begannen, die religiösen Aspekte des Weihnachtsfestes wieder zu entdecken.
Trotz dieser Wiederbelebung hat das Neujahrsfest seine dominierende Stellung als Hauptfeier des Winters beibehalten. Viele Russen feiern beide Feste: das Neujahr als großes, weltliches Familienfest mit Geschenken und Feuerwerk, und Weihnachten als ruhigeres, religiöses Fest, das oft mit einem Kirchbesuch verbunden ist. Diese Koexistenz zweier großer Winterfeiertage ist ein einzigartiges Merkmal der russischen Festkultur.
2. Datum und Kalender
Das Datum des russischen Weihnachtsfestes am 7. Januar (Gregorianischer Kalender) ist auf die fortgesetzte Verwendung des Julianischen Kalenders durch die Russisch-Orthodoxe Kirche zurückzuführen.
Der Julianische Kalender wurde im Jahr 45 v. Chr. von Julius Cäsar eingeführt und war lange Zeit der Standardkalender in Europa. Im Jahr 1582 führte Papst Gregor XIII. den Gregorianischen Kalender ein, um die Ungenauigkeiten des Julianischen Kalenders zu korrigieren, der im Laufe der Jahrhunderte eine Abweichung vom astronomischen Jahr angesammelt hatte. Die meisten westlichen Länder übernahmen den neuen Kalender relativ schnell.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche und einige andere orthodoxe Kirchen lehnten die Umstellung auf den Gregorianischen Kalender ab, da er von der katholischen Kirche initiiert wurde. Sie blieben beim Julianischen Kalender für ihre liturgischen Feiertage. Heute beträgt der Unterschied zwischen den beiden Kalendern 13 Tage. Das bedeutet, dass der 25. Dezember des Julianischen Kalenders dem 7. Januar des Gregorianischen Kalenders entspricht. Daher feiern die russischen Orthodoxen Weihnachten am 7. Januar.
Es ist wichtig zu beachten, dass Russland als Staat den Gregorianischen Kalender im Jahr 1918 übernommen hat. Dies führt zu der Situation, dass das weltliche Neujahrsfest am 1. Januar (Gregorianisch) gefeiert wird, während das religiöse Neujahr (nach Julianischem Kalender) am 14. Januar gefeiert wird, und Weihnachten am 7. Januar.
3. Religiöse Bedeutung und Bräuche
Die religiösen Bräuche des russischen Weihnachtsfestes sind tief in der orthodoxen Tradition verwurzelt und unterscheiden sich in vielen Aspekten von den westlichen Feierlichkeiten.
3.1. Philippus-Fasten
Dem Weihnachtsfest geht eine 40-tägige Fastenzeit voraus, bekannt als Philippus-Fasten (Филиппов пост, Filippow post), die am 28. November beginnt und bis zum 6. Januar dauert. Während dieser Zeit verzichten Gläubige auf Fleisch, Milchprodukte, Eier und oft auch auf Fisch und Alkohol. Das Fasten dient der spirituellen Reinigung und Vorbereitung auf die Geburt Christi.
3.2. Heiligabend (6. Januar)
Der 6. Januar ist der Heiligabend (Сочельник, Sotschelnik). Dieser Tag ist von strengem Fasten geprägt; traditionell wird erst nach dem Erscheinen des ersten Sterns am Abend, der den Stern von Bethlehem symbolisiert, gegessen. Das Abendessen am Heiligabend ist fleischlos und besteht aus 12 Gerichten, die die 12 Apostel symbolisieren. Die Hauptspeise ist Kutja (Кутья), ein Brei aus Weizen oder Reis, gemischt mit Honig, Mohn, Nüssen und Trockenfrüchten. Kutja ist ein symbolisches Gericht, das sowohl an die Geburt Christi als auch an die Auferstehung erinnert. Ein weiteres traditionelles Getränk ist Usvar (Узвар), ein Kompott aus getrockneten Früchten.
3.3. Weihnachtsgottesdienst
Die zentrale Feier des orthodoxen Weihnachtsfestes ist der feierliche Weihnachtsgottesdienst, der in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar stattfindet. Viele Gläubige besuchen die lange und festliche Liturgie, die oft mehrere Stunden dauert und um Mitternacht beginnt. Die Kirchen sind festlich geschmückt, und die Atmosphäre ist von tiefer Spiritualität geprägt. Die Gläubigen entzünden Kerzen und beten.
3.4. Weihnachtstag (7. Januar)
Der 7. Januar ist der eigentliche Weihnachtstag. Nach dem Ende des Fastens wird ein festliches Mahl mit Fleischgerichten und anderen reichhaltigen Speisen zubereitet. Familien kommen zusammen, tauschen Glückwünsche aus und genießen die gemeinsame Zeit. Es ist ein Tag der Freude und des Zusammenseins. Traditionell besuchen Familienmitglieder und Freunde einander, und Kinder erhalten oft kleine Geschenke.
3.5. Svyatki (Heilige Tage)
Die Zeit zwischen Weihnachten (7. Januar) und der Taufe Christi (Epiphanie, 19. Januar) wird als Svyatki (Святки) oder „Heilige Tage“ bezeichnet. Diese Periode ist traditionell eine Zeit der Freude, des Feierns und der Weissagung. In vorchristlicher Zeit waren dies Wintersonnwendfeste, die später christianisiert wurden. Während der Svyatki waren Kolyada-Singen (Колядки) verbreitet, bei denen Gruppen von Menschen von Haus zu Haus zogen, Weihnachtslieder sangen und Segenswünsche aussprachen, im Gegenzug für kleine Gaben. Auch verschiedene Formen des Wahrsagens, insbesondere für junge Mädchen, waren in dieser Zeit populär, um zukünftige Ehemänner oder Schicksale zu erfahren.
4. Weltliche Bräuche und Neujahrsfest
Obwohl Weihnachten religiös wiederbelebt wurde, dominiert das Neujahrsfest die weltlichen Winterfeierlichkeiten in Russland.
4.1. Ded Moroz und Snegurotschka
Ded Moroz (Дед Мороз, Väterchen Frost) ist die russische Entsprechung des Weihnachtsmanns, jedoch mit einigen wichtigen Unterschieden. Er trägt einen langen, oft blauen oder roten Mantel, einen langen weißen Bart und einen Zauberstab. Im Gegensatz zum Weihnachtsmann kommt Ded Moroz nicht durch den Schornstein, sondern erscheint persönlich auf Neujahrsfeiern oder bringt Geschenke direkt ins Haus. Er wird fast immer von seiner Enkelin Snegurotschka (Снегурочка, Schneeflöckchen) begleitet, einer jungen, blonden Frau in einem eisblauen Kleid, die eine einzigartige Figur in der russischen Folklore darstellt und keine direkte Entsprechung in westlichen Traditionen hat. Ded Moroz und Snegurotschka sind die zentralen Figuren der Neujahrsfeierlichkeiten.
4.2. Die Jolka (Weihnachts-/Neujahrsbaum)
Die Jolka (Ёлка) ist ein geschmückter Nadelbaum, der in Russland traditionell zum Neujahrsfest aufgestellt wird. Obwohl er ursprünglich ein Weihnachtsbaum war, wurde seine Funktion in der Sowjetzeit auf das Neujahr übertragen. Die Jolka wird oft mit bunten Kugeln, Lametta, Lichtern und einer Spitze in Form eines roten Sterns (der an den Sowjetstern erinnert) geschmückt. Unter dem Baum werden die Geschenke platziert.
4.3. Geschenke und Festlichkeiten
Die Hauptzeit für den Austausch von Geschenken ist der Neujahrsabend (31. Dezember). Familien kommen zusammen, um ein opulentes Festmahl zu genießen, das oft bis in die frühen Morgenstunden dauert. Typische Neujahrsgerichte sind Salat Olivier (ein Kartoffelsalat mit Wurst, Erbsen und Mayonnaise), Hering im Pelzmantel (Schichtsalat mit Roter Bete und Hering) und Mandarinen. Um Mitternacht wird auf das neue Jahr angestoßen, oft mit Sekt (Schampanskoje), und die Neujahrsansprache des Präsidenten im Fernsehen verfolgt. Feuerwerke sind ein fester Bestandteil der Neujahrsfeierlichkeiten in Städten und Gemeinden.
5. Herausforderungen und Moderne Entwicklungen
Die Koexistenz von Neujahrs- und Weihnachtsfeierlichkeiten in Russland bringt einige Besonderheiten mit sich. Viele Russen empfinden das Neujahrsfest als das wichtigere und fröhlichere Familienfest, während Weihnachten eher eine ruhigere, religiöse oder traditionelle Bedeutung hat. Für die jüngere Generation, die in der postsowjetischen Ära aufgewachsen ist, ist die religiöse Dimension von Weihnachten oft weniger präsent als die weltlichen Neujahrsbräuche.
Die Kommerzialisierung der Feiertage hat auch in Russland zugenommen, mit verstärkter Werbung und dem Angebot von Weihnachts- und Neujahrsartikeln. Dennoch bleibt die tiefe kulturelle und historische Verwurzelung beider Feste bestehen, was die russische Winterfestzeit einzigartig macht.
6. Vergleich mit westlichen Weihnachtsbräuchen
Die russischen Weihnachts- und Neujahrsbräuche weisen einige markante Unterschiede zu den westlichen Traditionen auf:
- Datum: 7. Januar (Julianischer Kalender) vs. 25. Dezember (Gregorianischer Kalender).
- Hauptfeier: Das Neujahrsfest ist das primäre weltliche Fest mit Geschenken und ausgelassenen Feiern, während Weihnachten eher religiös geprägt ist. Im Westen ist Weihnachten das zentrale Fest.
- Figuren: Ded Moroz und Snegurotschka bringen die Geschenke zum Neujahr, nicht der Weihnachtsmann zu Weihnachten.
- Fasten: Das Philippus-Fasten vor Weihnachten ist eine wichtige religiöse Praxis, die im Westen in dieser Form nicht existiert.
- Heiligabend: Das traditionelle 12-Gerichte-Mahl mit Kutja am russischen Heiligabend ist spezifisch für die orthodoxe Tradition.
- Nachweihnachtszeit: Die Svyatki-Periode mit ihren spezifischen Bräuchen ist ebenfalls einzigartig.
Diese Unterschiede spiegeln die unterschiedlichen historischen, religiösen und kulturellen Entwicklungen Russlands im Vergleich zu Westeuropa wider.
7. Siehe auch
- Russisch-Orthodoxe Kirche
- Julianischer Kalender
- Neujahr in Russland
- Ded Moroz
- Snegurotschka
- Kutja
8. Literatur
- Werth, Nicolas: Histoire de l’Union soviétique de Lénine à Staline (1917–1953). Presses Universitaires de France, 2008.
- Hosking, Geoffrey: Russia and the Russians: A History. Harvard University Press, 2011.
- Pipes, Richard: A Concise History of the Russian Revolution. Vintage Books, 1996.
- Engelstein, Laura: The Keys to Happiness: Sex and the Old Regime in Russia. Cornell University Press, 1992. (Für kulturelle und soziale Aspekte vor der Revolution)
9. Weblinks
- Offizielle Website der Russisch-Orthodoxen Kirche (russisch)
- Informationen zum orthodoxen Weihnachtsfest (Englisch)
- Artikel über die Geschichte des Neujahrsfestes in Russland (Deutsch)