Für viele Deutsche ist Weihnachten untrennbar mit einer festen Vorstellung verbunden: glitzernder Schnee, der Duft von Zimt und Nelken, besinnliche Weihnachtslieder, der Adventskranz mit seinen vier Kerzen, ein festlich geschmückter Tannenbaum am Heiligen Abend und die feierliche Bescherung. Es ist eine Zeit der Gemütlichkeit, der inneren Einkehr und des Zusammenseins im engsten Familienkreis. Doch wehe dem, der diese tief verwurzelten Erwartungen mit ins Nachbarland Frankreich nimmt. Was dort als „Noël“ zelebriert wird, kann für den deutschen Weihnachtsfan schnell zu einer regelrechten „Weihnachten in Frankreich Karambolage“ werden – einer liebenswerten, aber manchmal auch verwirrenden Kollision der Kulturen und Traditionen.
Man muss es erlebt haben, um es zu glauben. Die erste Irritation beginnt oft schon lange vor dem eigentlichen Fest, in der vermeintlichen Vorweihnachtszeit. Wo in Deutschland spätestens ab dem ersten Advent die Städte in einem Meer aus Lichterketten versinken, Weihnachtsmärkte mit Glühwein und Bratwurst locken und die Kaufhäuser mit „Last Christmas“ beschallen, herrscht in Frankreich lange Zeit eine bemerkenswerte Zurückhaltung. Der Adventskalender? Oft Fehlanzeige oder ein Nischenprodukt. Der Adventskranz? Kaum bekannt. Die besinnliche Stimmung, die sich in Deutschland über Wochen aufbaut, scheint in Frankreich erst kurz vor dem 24. Dezember so richtig in Fahrt zu kommen. Es ist, als würde man auf einen Zug warten, der immer wieder Verspätung hat, um dann doch noch mit voller Geschwindigkeit einzufahren.
Der erste Schock: Die Vorweihnachtszeit als Warm-up, nicht als Hauptakt
In Deutschland beginnt die Weihnachtszeit gefühlt schon im Oktober, wenn die ersten Lebkuchen in den Supermärkten auftauchen. Mit dem ersten Advent wird dann der Startschuss für eine vierwöchige Phase der Vorbereitung, der Besinnlichkeit und des Konsums gegeben. Jeder Baumarkt, jede Bäckerei, jedes Schaufenster schreit „Weihnachten!“. Man trifft sich auf dem Weihnachtsmarkt, um Glühwein zu trinken und gebrannte Mandeln zu essen. Es ist ein kollektives Eintauchen in eine festliche Blase.
In Frankreich hingegen? Die Lichterketten an den Champs-Élysées mögen beeindruckend sein, aber sie sind eher eine städtische Dekoration als ein Ausdruck einer tief verwurzelten vorweihnachtlichen Tradition. Weihnachtsmärkte gibt es zwar, aber sie sind oft kleiner, weniger traditionell und wirken eher wie normale Märkte mit einem weihnachtlichen Anstrich. Der Fokus liegt hier weniger auf der „Stimmung“ als auf dem „Einkauf“. Geschenke werden oft erst auf den letzten Drücker besorgt, und die Hektik, die man in deutschen Innenstädten in den letzten Tagen vor Heiligabend erlebt, ist in Frankreich noch einmal um ein Vielfaches gesteigert. Es ist ein pragmatischeres Herangehen, weniger romantisch, dafür umso lebhafter. Für den deutschen Besucher, der sich nach dem vertrauten Duft von Tannen und Zimt sehnt, kann dies eine erste Enttäuschung sein. Man fühlt sich ein wenig wie ein Schauspieler, der auf seinen Einsatz wartet, während das Stück schon längst begonnen hat – oder noch gar nicht richtig angefangen hat.
Der Höhepunkt der Karambolage: Der Heilige Abend und das kulinarische Inferno
Der wahre Kulturschock ereilt den deutschen Gast jedoch am Heiligen Abend, dem 24. Dezember. Während in Deutschland um diese Zeit die Familien zusammenkommen, der Baum erleuchtet wird, Weihnachtslieder gesungen werden und die Bescherung stattfindet, ist der 24. in Frankreich – zumindest tagsüber – ein ganz normaler Arbeitstag. Die Geschäfte sind geöffnet, das Leben geht seinen gewohnten Gang. Erst am Abend beginnt das, was in Frankreich als „Réveillon de Noël“ bekannt ist: ein opulentes Festmahl, das oft erst spät beginnt und sich über Stunden hinzieht.
Und hier beginnt die eigentliche „Weihnachten in Frankreich Karambolage“ für den deutschen Magen und die deutsche Seele. Vergessen Sie Würstchen mit Kartoffelsalat oder Gänsebraten! Das französische Weihnachtsessen ist ein kulinarischer Marathon, der selbst den erfahrensten Feinschmecker an seine Grenzen bringen kann. Die Speisefolge ist oft atemberaubend:
- Apéritif: Beginnend mit Champagner oder Crémant, begleitet von einer Vielzahl kleiner Häppchen wie Gougères, Oliven oder Canapés.
- Vorspeisen: Hier kommt oft das, was für viele Deutsche schon ein Hauptgericht wäre: Austern in rauen Mengen, Lachs in allen Variationen, Jakobsmuscheln (Coquilles Saint-Jacques) oder – der absolute Klassiker – Foie Gras, oft mit Feigenkonfitüre oder geröstetem Brot. Für manchen deutschen Gaumen ist die schiere Menge und die Exotik dieser Speisen bereits eine Herausforderung.
- Zwischengang (manchmal): Ein Sorbet, um den Gaumen zu neutralisieren, oder eine leichte Suppe.
- Hauptgericht: Meist ein Truthahn (Dinde) mit Maronenfüllung, aber auch Kapaun, Gans oder Wild können auf den Tisch kommen. Dazu gibt es reichlich Beilagen wie Kartoffelgratin oder Gemüse.
- Käseplatte: Ein unverzichtbarer Bestandteil jeder französischen Festtafel. Eine Auswahl von mindestens drei bis fünf verschiedenen Käsesorten, die mit Brot und Wein genossen werden.
- Dessert: Die berühmte „Bûche de Noël“ – ein Baumstammkuchen, oft aus Biskuitrolle mit Buttercreme oder Mousse, kunstvoll verziert. Es gibt sie in unzähligen Variationen, von klassisch Schokolade bis zu exotischen Fruchtkreationen.
- Digestif: Zum Abschluss oft ein Cognac, Armagnac oder ein Kräuterlikör, um die Verdauung anzukurbeln.
Dieses Festmahl kann sich leicht über vier bis fünf Stunden erstrecken, begleitet von reichlich Wein und angeregten Gesprächen. Die Bescherung findet oft erst nach Mitternacht statt, wenn der Père Noël (Weihnachtsmann) die Geschenke gebracht hat, oder am Morgen des 25. Dezember. Für deutsche Kinder, die es gewohnt sind, ihre Geschenke schon am frühen Abend des 24. zu bekommen, kann diese Wartezeit eine echte Geduldsprobe sein. Die Atmosphäre ist weniger besinnlich und andächtig als in Deutschland, dafür umso lebhafter, geselliger und kulinarisch anspruchsvoller. Man sitzt nicht still und lauscht Weihnachtsliedern, sondern redet, lacht, isst und trinkt – und das oft in einer Lautstärke, die für deutsche Ohren ungewohnt sein mag.
Die Bescherung: Père Noël statt Christkind
Ein weiterer Punkt der "Weihnachten in Frankreich Karambolage" ist die Figur, die die Geschenke bringt. Während in vielen deutschen Familien das Christkind eine zentrale Rolle spielt, ist es in Frankreich der Père Noël, der dem amerikanischen Santa Claus sehr ähnelt. Er kommt in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember und legt die Geschenke unter den Baum oder in die Schuhe, die vor dem Kamin platziert wurden. Die Kinder finden ihre Geschenke dann am Morgen des 25. Dezember.
Das Auspacken der Geschenke ist oft ein schnellerer, pragmatischerer Akt als in Deutschland. Es gibt weniger von der feierlichen "Auspackzeremonie", die man aus deutschen Familien kennt, wo jedes Geschenk einzeln gewürdigt wird. In Frankreich werden die Geschenke oft zügig ausgepackt, die Freude ist groß, aber die Atmosphäre ist weniger von Andacht als von geselligem Miteinander geprägt.
Der erste Weihnachtstag: Déjà-vu im Speisesaal
Wer glaubt, am 25. Dezember sei die kulinarische Tortur vorbei, irrt sich gewaltig. Der erste Weihnachtstag, der „Jour de Noël“, ist oft Anlass für ein weiteres ausgiebiges Familienessen, das „Déjeuner de Noël“. Man trifft sich, oft mit anderen Familienmitgliedern, die man am Vortag nicht gesehen hat, und das kulinarische Spektakel beginnt von Neuem. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Speisenfolge ähnlich opulent ausfällt wie am Vorabend. Reste vom Vortag? Kaum vorstellbar, es wird frisch aufgetischt. Für den deutschen Magen, der vielleicht noch mit den Austern und dem Foie Gras vom Vortag ringt, kann dies eine weitere Herausforderung sein. Man fühlt sich wie in einem kulinarischen Déjà-vu, das sich über Tage erstreckt.
Die psychologische Komponente: Erwartung vs. Realität
Die eigentliche "Weihnachten in Frankreich Karambolage" findet jedoch oft im Kopf des deutschen Besuchers statt. Man kommt mit einer festen Vorstellung von Weihnachten an: der Sehnsucht nach Besinnlichkeit, dem Duft von Tannen und Kerzen, der Stille, die nur von Weihnachtsliedern durchbrochen wird. Man erwartet eine Art Winterwunderland, eine Zeit des Rückzugs und der inneren Einkehr.
Was man in Frankreich findet, ist etwas anderes: eine lebhafte, gesellige, kulinarisch überbordende Feier, die mehr von „Savoir-vivre“ und „Joie de vivre“ geprägt ist als von stiller Andacht. Die Franzosen lieben ihre Familienfeste, ihre langen Mahlzeiten, ihre angeregten Diskussionen. Weihnachten ist hier vor allem ein Anlass, um zusammenzukommen, gut zu essen und das Leben zu genießen. Der religiöse Aspekt ist oft präsent, aber er steht nicht so im Vordergrund wie in vielen deutschen Familien.
Für den deutschen Gast kann dies zunächst zu einer gewissen Desorientierung führen. Wo ist die Gemütlichkeit? Wo ist die Stille? Wo ist der Schnee (der in vielen Regionen Frankreichs ohnehin selten ist)? Man muss lernen, seine eigenen Erwartungen loszulassen und sich auf die französische Art des Feierns einzulassen. Und das ist oft der schwierigste Teil der Karambolage.
Fazit: Eine Bereicherung trotz oder gerade wegen der Karambolage
Trotz aller anfänglichen Verwirrung und der ein oder anderen Magenverstimmung ist die "Weihnachten in Frankreich Karambolage" am Ende fast immer eine Bereicherung. Ja, es ist anders. Ja, es kollidiert mit den tief verwurzelten deutschen Weihnachtstraditionen. Aber genau in dieser Kollision liegt der Reiz. Man lernt, dass Weihnachten nicht nur eine Form haben muss, sondern viele Gesichter haben kann.
Man entdeckt die einzigartige Herzlichkeit der französischen Familien, die Leidenschaft für gutes Essen und die Kunst, ein Fest in vollen Zügen zu genießen. Man lernt, dass „Besinnlichkeit“ auch in lauten Gesprächen und ausgelassenem Lachen liegen kann. Man schätzt die Qualität der französischen Produkte und die Fähigkeit, selbst die einfachsten Gerichte zu einem Festmahl zu erheben.
Die "Weihnachten in Frankreich Karambolage" ist keine Katastrophe, sondern ein lebendiges, manchmal chaotisches, aber immer unvergessliches Erlebnis. Sie erweitert den Horizont, fordert die Sinne heraus und lehrt, dass Traditionen fließend sind und sich anpassen können. Am Ende des Festes, wenn der letzte Bissen Bûche de Noël verzehrt und der letzte Cognac getrunken ist, blickt man auf eine Erfahrung zurück, die vielleicht nicht der deutschen Vorstellung von Weihnachten entsprach, aber auf ihre ganz eigene Weise wunderschön und authentisch war. Und vielleicht nimmt man im nächsten Jahr ein kleines Stück französischen „Savoir-vivre“ mit nach Hause – und plant schon mal, wo man die besten Austern für das eigene deutsche Weihnachtsfest bekommt. Die Karambolage hat sich gelohnt.