Die Weihnachtszeit in Island ist eine Periode tief verwurzelter Traditionen, die sich in der einzigartigen Landschaft und Kultur des Landes widerspiegeln. Während die Tage im Dezember extrem kurz sind und die Polarlichter den Himmel tanzen lassen, verwandelt sich Island in ein magisches Winterwunderland. Doch neben den glitzernden Lichtern, den Geschichten der Jólasveinar (Weihnachtsmänner) und der besonderen Atmosphäre ist es vor allem das Essen, das Weihnachten in Island zu einem unvergesslichen Erlebnis für Einheimische und Besucher macht. Die isländische Weihnachtsküche ist herzhaft, traditionell und tief mit der Geschichte und den Ressourcen der Insel verbunden. Sie ist ein Fest für die Sinne, das Wärme und Gemütlichkeit in die kalte Dunkelheit bringt.
Die Vorweihnachtszeit: Kulinarische Vorboten des Festes
Schon lange vor dem Heiligen Abend beginnt in Island die kulinarische Einstimmung auf Weihnachten. Die Adventszeit, oder „Aðventan“, ist geprägt von der Vorfreude und dem Backen von Weihnachtsplätzchen, den „Jólakökur“. Diese reichen von einfachen Butterplätzchen bis hin zu aufwendig verzierten Lebkuchen, den „Piparkökur“, die oft mit Zuckerguss verziert werden und das ganze Haus mit ihrem würzigen Duft erfüllen.
Ein besonders markantes Datum in der Vorweihnachtszeit ist der 23. Dezember, der Þorláksmessa, der Gedenktag des Heiligen Þorlákur. An diesem Tag ist es Tradition, fermentierten Rochen, „kæst skata“, zu essen. Der Geruch dieses Gerichts ist so intensiv und durchdringend, dass er oft tagelang in den Kleidern und Häusern haften bleibt. Für viele Isländer ist der Verzehr von kæst skata ein unverzichtbarer Teil der Weihnachtsvorbereitungen, ein Reinigungsritual vor dem großen Fest. Es ist ein Geschmack, der polarisiert – entweder man liebt ihn oder man hasst ihn –, aber er ist zweifellos ein integraler Bestandteil der isländischen Weihnachtstradition und ein Zeugnis der Anpassungsfähigkeit an die rauen Lebensbedingungen vergangener Zeiten, in denen die Fermentierung eine wichtige Konservierungsmethode war.
Der Heilige Abend (Aðfangadagur): Das Herzstück des Festes
Der Heilige Abend, „Aðfangadagur“, ist der Höhepunkt der isländischen Weihnachtsfeierlichkeiten. Anders als in vielen anderen Ländern, wo der erste Weihnachtstag das Hauptfest ist, werden in Island die Geschenke am Abend des 24. Dezember geöffnet, und das große Weihnachtsmahl wird serviert. Die Familie versammelt sich, oft in festlicher Kleidung, um gemeinsam zu essen und die besinnliche Atmosphäre zu genießen.
Das absolute Herzstück der isländischen Weihnachtstafel ist traditionell Hangikjöt, geräuchertes Lammfleisch. Dieses Gericht ist so tief in der isländischen Kultur verwurzelt, dass es für viele Isländer undenkbar wäre, Weihnachten ohne es zu feiern. Hangikjöt wird entweder gekocht oder, seltener, gebraten serviert und hat einen intensiven, rauchigen Geschmack, der durch das Räuchern über Birkenholz oder getrocknetem Schafsmist entsteht – eine alte Konservierungsmethode, die dem Fleisch seinen unverwechselbaren Charakter verleiht. Es wird typischerweise in dünnen Scheiben geschnitten und mit einer cremigen Béchamelsauce, gekochten Kartoffeln, grünen Erbsen und Rotkohl serviert. Manchmal wird auch eine spezielle Gelee-Sauce aus Rhabarber oder Johannisbeeren dazu gereicht, die eine süß-säuerliche Note hinzufügt und den reichen Geschmack des Fleisches perfekt ergänzt.
Eine weitere beliebte Option für das Weihnachtsessen, besonders in ländlichen Gebieten oder bei Familien, die eine Alternative zu Hangikjöt suchen, ist Rjúpa, das Alpenschneehuhn. Die Jagd auf Schneehühner ist in Island streng reglementiert, was Rjúpa zu einem exklusiven und begehrten Gericht macht. Das Fleisch des Schneehuhns ist dunkel und hat einen kräftigen, wildartigen Geschmack. Es wird oft gebraten oder geschmort und mit einer reichhaltigen Sauce, Kartoffeln und Preiselbeeren serviert. Der Verzehr von Rjúpa ist für viele eine Hommage an die Natur und die Jagdtraditionen Islands.
Obwohl Fleisch die Hauptrolle spielt, finden sich auf einigen Weihnachtstafeln auch Fischgerichte. Island ist eine Inselnation, und Fisch war über Jahrhunderte die wichtigste Nahrungsquelle. Kabeljau, Lachs oder Forelle können daher ebenfalls Teil des Festmahls sein, oft zubereitet mit Butter, Kräutern oder in einer cremigen Sauce. Dies ist besonders bei Familien der Fall, die eine leichtere Alternative bevorzugen oder die Vielfalt der isländischen Küche zelebrieren möchten.
Ein unverzichtbarer Begleiter zu Hangikjöt und anderen Hauptgerichten ist Laufabrauð, auch bekannt als „Blattbrot“ oder „Schneeflockenbrot“. Dieses hauchdünne, knusprige Fladenbrot ist eine wahre Kunstform. Der Teig wird extrem dünn ausgerollt und dann mit kunstvollen Mustern versehen, bevor er in heißem Fett frittiert wird. Die Herstellung von Laufabrauð ist oft eine gemeinsame Familienaktivität in der Vorweihnachtszeit, bei der Generationen zusammenkommen, um die filigranen Muster zu schnitzen und das Brot zuzubereiten. Jede Familie hat oft ihre eigenen Muster und Techniken, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Laufabrauð ist nicht nur eine köstliche Beilage, sondern auch ein Symbol für Gemeinschaft und Handwerkskunst.
Die Weihnachtstage: Fortsetzung des Schmauses
Nach dem opulenten Heiligen Abend geht das Festmahl am ersten Weihnachtstag, Jóladagur, weiter. Oft werden die Reste des Hangikjöt vom Vortag genossen, was dem geräucherten Lamm die Möglichkeit gibt, seine Aromen noch intensiver zu entfalten. Der erste Weihnachtstag ist in der Regel entspannter, oft geprägt von Besuchen bei Verwandten und Freunden, bei denen weitere Köstlichkeiten angeboten werden.
Der zweite Weihnachtstag, Annar Jóladagur (der Stephanstag), ist ebenfalls ein Feiertag. An diesem Tag können die Familien noch einmal zusammenkommen, oft für ein weiteres Festessen, das jedoch variabler sein kann. Manche Familien servieren erneut Hangikjöt, andere wählen gebratenen Truthahn, Schinken oder andere Fleischgerichte, die weniger traditionell sind, aber in den letzten Jahrzehnten an Beliebtheit gewonnen haben.
Ein beliebtes Dessert an den Weihnachtstagen ist Risalamande, ein cremiger Milchreis mit Mandeln und Kirschsauce, der ursprünglich aus Dänemark stammt, aber in Island fest etabliert ist. In einer der Portionen wird oft eine ganze Mandel versteckt, und der Finder gewinnt ein kleines Geschenk. Diese Tradition sorgt für zusätzliche Spannung und Freude am Esstisch. Alternativ gibt es auch den einfachen Milchreis, „grjónagrautur“, der mit Zimt und Zucker bestreut wird.
Süßes und Getränke: Die Begleiter des Festes
Neben den Hauptgerichten und Desserts spielen auch andere Leckereien und Getränke eine wichtige Rolle in der isländischen Weihnachtsküche.
Jólakökur und Piparkökur (Weihnachtsplätzchen und Lebkuchen) sind allgegenwärtig. Sie werden nicht nur gebacken und zu Hause gegessen, sondern auch an Freunde und Nachbarn verschenkt. Viele Familien haben über Generationen weitergegebene Rezepte, die sorgfältig gehütet werden.
Ein einzigartiges isländisches Weihnachtsgetränk ist Malt og Appelsín, eine Mischung aus Malzbier (Malt) und Orangenlimonade (Appelsín). Diese ungewöhnliche Kombination ist überraschend erfrischend und süß und wird von vielen Isländern als unverzichtbarer Bestandteil des Weihnachtsessens angesehen.
Für Erwachsene gibt es oft Jólabjór, spezielle Weihnachtsbier-Sorten, die von lokalen Brauereien nur zur Weihnachtszeit gebraut werden und oft einen kräftigeren Geschmack haben. Und natürlich darf der traditionelle isländische Schnaps, Brennivín, auch bekannt als „Schwarzer Tod“, nicht fehlen, besonders wenn man sich an den Þorláksmessa-Rochen wagt. Er wird oft als Digestif nach dem üppigen Mahl genossen.
Die Bedeutung von Gemeinschaft und Tradition
Das Essen zu Weihnachten in Island ist weit mehr als nur Nahrungsaufnahme; es ist ein zentraler Pfeiler der familiären und gemeinschaftlichen Zusammenkunft. In der langen, dunklen Winterzeit bieten die festlichen Mahlzeiten eine willkommene Gelegenheit, sich mit Lieben zu verbinden, Geschichten auszutauschen und die Wärme des Zusammenseins zu genießen. Die Vorbereitung der Speisen, insbesondere das Backen von Laufabrauð und Jólakökur, ist oft eine kollektive Anstrengung, die Generationen zusammenbringt und Wissen und Traditionen weitergibt.
Die isländische Weihnachtsküche spiegelt die Geschichte und die Geografie des Landes wider. Die Verwendung von geräuchertem Lamm und fermentiertem Rochen zeugt von alten Konservierungsmethoden, die in einer Zeit ohne moderne Kühlung überlebenswichtig waren. Gleichzeitig zeigen die Gerichte die Wertschätzung für die lokalen Ressourcen – das Lamm von den Weiden, der Fisch aus den umliegenden Gewässern und die Beeren aus der kargen Landschaft.
Moderne Einflüsse und die Zukunft der Weihnachtsküche
Obwohl die isländische Weihnachtsküche tief in der Tradition verwurzelt ist, gibt es auch Raum für moderne Einflüsse. Internationale Gerichte wie Truthahn oder Schinken haben ihren Weg auf einige Weihnachtstafeln gefunden, und vegetarische oder vegane Alternativen werden zunehmend beliebter. Supermärkte bieten eine breite Palette an Fertigprodukten an, die die Zubereitung erleichtern, auch wenn viele Familien immer noch stolz darauf sind, ihre Gerichte von Grund auf selbst zuzubereiten.
Trotz dieser Entwicklungen bleibt der Kern der isländischen Weihnachtsküche bestehen. Die Liebe zu Hangikjöt, die Freude am Laufabrauð-Backen und die Bedeutung von Þorláksmessa sind tief in der nationalen Identität verankert. Die Isländer sind stolz auf ihre kulinarischen Traditionen und bemühen sich, sie an zukünftige Generationen weiterzugeben.
Fazit
Weihnachten in Island ist ein Fest der Kontraste: die dunklen, kalten Tage werden durch die Wärme der Familie und die Helligkeit der Lichter erhellt. Und im Zentrum dieser Wärme steht das Essen. Von dem unverwechselbaren Geruch des fermentierten Rochens am Þorláksmessa über den reichen, rauchigen Geschmack von Hangikjöt bis hin zur filigranen Schönheit von Laufabrauð – die isländische Weihnachtsküche ist ein Spiegelbild der Geschichte, der Natur und des Geistes der Insel. Sie ist herzhaft, authentisch und voller Charakter, ein wahres Fest für die Sinne, das die einzigartige Kultur Islands in jedem Bissen erlebbar macht. Wer Weihnachten in Island erlebt, taucht nicht nur in eine magische Winterlandschaft ein, sondern auch in eine kulinarische Tradition, die so unverwechselbar und faszinierend ist wie das Land selbst.