Während in vielen westlichen Ländern Weihnachten tief in religiösen Traditionen verwurzelt ist und mit festlichen Familienessen, dem Duft von Tannenbäumen und dem Gesang von Weihnachtsliedern verbunden wird, präsentiert sich das Weihnachtsfest in Japan in einem gänzlich anderen Licht. Fernab von Krippenspielen und Kirchgängen hat sich in Japan eine einzigartige, vorwiegend kommerzielle und romantische Interpretation des Festes entwickelt, bei der das Essen eine überraschend zentrale Rolle spielt. Insbesondere zwei kulinarische Phänomene prägen das japanische Weihnachten: gebratenes Hähnchen von Kentucky Fried Chicken (KFC) und die japanische Weihnachtstorte, eine luftige Erdbeer-Sahne-Torte. Diese ungewöhnlichen Traditionen sind nicht nur Ausdruck einer faszinierenden kulturellen Adaption, sondern auch ein Spiegelbild der japanischen Gesellschaft und ihrer Fähigkeit, fremde Bräuche auf ihre eigene Weise zu interpretieren und zu zelebrieren.
Um das Phänomen "Weihnachten in Japan Essen" zu verstehen, muss man zunächst den kulturellen Kontext beleuchten. Japan ist primär buddhistisch und shintoistisch geprägt; das Christentum macht nur einen winzigen Prozentsatz der Bevölkerung aus. Weihnachten hat daher keine tief verwurzelte religiöse Bedeutung. Stattdessen wurde es in der Nachkriegszeit als ein Fest der Liebe, der Romantik und des Konsums importiert und neu interpretiert. Es ist vor allem ein Fest für Paare, die den Abend in schicken Restaurants verbringen oder romantische Spaziergänge unter den festlichen Illuminierungen genießen. Für Familien ist es eher eine Gelegenheit, gemeinsam Zeit zu verbringen und sich an den festlichen Dekorationen zu erfreuen, ohne den Druck traditioneller Verpflichtungen, wie sie in westlichen Ländern oft existieren. In diesem Kontext, in dem es keine vorgegebenen kulinarischen Traditionen gab, konnten sich neue, unkonventionelle Bräuche etablieren.
Der unangefochtene Star des japanischen Weihnachtsessens ist zweifellos das gebratene Hähnchen von KFC. Was in westlichen Ohren vielleicht wie ein schlechter Scherz klingt, ist in Japan eine ernsthafte und weit verbreitete Tradition. Millionen von Japanern strömen am Heiligabend zu den KFC-Filialen, um ihre vorbestellten "Christmas Barrels" abzuholen, oder stehen stundenlang Schlange, um ein Stück des begehrten Hähnchens zu ergattern. Diese Tradition geht auf eine clevere Marketingkampagne von KFC Japan in den frühen 1970er Jahren zurück. Die Legende besagt, dass Takeshi Okawara, der damalige Manager der ersten KFC-Filiale in Japan, die Idee hatte, Hähnchen als Ersatz für den traditionellen Truthahn anzubieten, nachdem er hörte, wie Ausländer in Japan an Weihnachten nach Alternativen suchten. Im Jahr 1974 startete KFC Japan die Kampagne "Kentucky for Christmas" (Kurisumasu ni wa Kentakkii!), die sich schnell zu einem durchschlagenden Erfolg entwickelte.
Die Gründe für diesen Erfolg sind vielfältig. Zum einen traf die Kampagne einen Nerv in einer Zeit, in der Japan eine rasante wirtschaftliche Entwicklung erlebte und westliche Produkte und Lebensstile zunehmend populär wurden. KFC bot ein Stück "amerikanischen Traum" und Exotik. Zum anderen war das gebratene Hähnchen eine praktische und leicht zugängliche Option für die Feiertage. In einem Land, in dem viele Wohnungen klein sind und das Kochen eines großen Festmahls aufwendig sein kann, bot KFC eine bequeme Lösung für ein festliches Essen, das man einfach abholen und zu Hause genießen konnte. Der "Christmas Barrel" ist dabei nicht nur ein Eimer voller Hähnchenteile, sondern oft auch mit Salat, Kuchen und manchmal sogar einer Flasche Wein oder Sekt bestückt – ein komplettes Festmahl zum Mitnehmen. Die Warteschlangen vor den Filialen sind am 24. Dezember legendär und zeugen von der tiefen Verankerung dieser Tradition im japanischen Weihnachtsfest. Für viele Japaner ist ein Weihnachten ohne KFC schlicht undenkbar.
Neben dem herzhaften Hähnchen gibt es einen weiteren kulinarischen Pfeiler des japanischen Weihnachtsfestes: die Weihnachtstorte. Doch anders als in westlichen Ländern, wo oft schwere Früchtekuchen oder Lebkuchen serviert werden, ist die japanische Weihnachtstorte (kurisumasu keki) eine leichte und luftige Erdbeer-Sahne-Torte. Sie besteht aus einem weichen Biskuitboden, der mit frischer Schlagsahne und leuchtend roten Erdbeeren verziert ist. Die Farben Weiß und Rot sind dabei nicht zufällig gewählt: Weiß symbolisiert den Schnee und die Reinheit, während Rot für die Erdbeeren und den Weihnachtsmann steht. Diese Torte ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch geschmacklich eine perfekte Ergänzung zum eher deftigen Hähnchen.
Die Weihnachtstorte hat sich ebenfalls in der Nachkriegszeit etabliert, als die Verfügbarkeit von Zucker und Milchprodukten zunahm und westliche Backwaren an Popularität gewannen. Sie wurde zu einem Symbol für Wohlstand und Modernität. Heute findet man sie in jeder Konditorei, jedem Supermarkt und jedem Konbini (Convenience Store) in den Wochen vor Weihnachten. Auch hier ist die Vorbestellung üblich, insbesondere für aufwendigere Kreationen von renommierten Bäckereien oder Kaufhäusern. Die Torte wird oft am Weihnachtsabend mit der Familie oder dem Partner geteilt und ist ein fester Bestandteil des festlichen Beisammenseins. Sie ist nicht nur ein Dessert, sondern ein Symbol für Freude, Süße und das Beisammensein. Die japanische Weihnachtstorte ist so ikonisch, dass sie sogar Eingang in die japanische Popkultur gefunden hat und oft in Animes, Mangas und Dramen zu sehen ist.
Abgesehen von KFC und der Weihnachtstorte gibt es weitere kulinarische Aspekte, die das japanische Weihnachten prägen, wenn auch in geringerem Maße. Viele Restaurants bieten spezielle Weihnachtsmenüs an, die oft auf westlichen Gerichten basieren, aber mit einem japanischen Twist versehen sind. Dies können zum Beispiel festliche italienische oder französische Menüs sein, die für Paare konzipiert sind und eine romantische Atmosphäre bieten. Auch in den Supermärkten und Konbinis finden sich zahlreiche saisonale Produkte, von speziellen Pralinen und Gebäck bis hin zu festlich verpackten Getränken. Champagner und Sekt sind ebenfalls beliebte Begleiter für das Weihnachtsessen, insbesondere bei Paaren, die den Abend zu zweit genießen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass das Kochen eines traditionellen "Weihnachtsbratens" oder ähnlicher Gerichte zu Hause, wie es in westlichen Ländern üblich ist, in Japan keine verbreitete Praxis ist. Die Bequemlichkeit und der Fokus auf "Essen außer Haus" oder "Fertiggerichte" sind hier deutlich ausgeprägt.
Die Gründe für diese einzigartigen Bräuche liegen tief in der japanischen Kultur und ihrer Fähigkeit zur Adaption. Japan hat eine lange Geschichte der Übernahme und Umgestaltung fremder Kulturelemente, sei es die Schrift aus China oder die Architektur aus Korea. Weihnachten ist ein weiteres Beispiel dafür. Da es keine eigenen tief verwurzelten Weihnachtstraditionen gab, war das Feld offen für neue Interpretationen. Die Marketingstrategien von Unternehmen wie KFC spielten eine entscheidende Rolle bei der Schaffung dieser "Traditionen". Sie füllten eine Lücke und boten den Menschen eine Möglichkeit, an einem globalen Fest teilzuhaben, das jedoch auf ihre eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnitten war. Die Betonung von Bequemlichkeit, Ästhetik und dem romantischen Aspekt passte perfekt zur modernen japanischen Lebensweise.
Die kulinarischen Traditionen des japanischen Weihnachtsfestes sind somit ein faszinierendes Beispiel für kulturelle Globalisierung und Lokalisierung. Sie zeigen, wie ein ursprünglich religiöses Fest in einem säkularen Kontext zu einem kommerziellen und romantischen Ereignis umgedeutet werden kann, bei dem das Essen eine zentrale Rolle spielt. Es ist eine Geschichte von cleverem Marketing, kultureller Offenheit und der Fähigkeit, Neues anzunehmen und es zu etwas Eigenem zu machen. Für westliche Besucher mag es zunächst befremdlich wirken, an Weihnachten gebratenes Hähnchen und Erdbeertorte zu essen, doch für Millionen von Japanern ist dies der Inbegriff des festlichen Genusses und ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer einzigartigen Weihnachtsfeierlichkeiten. Es ist ein Beweis dafür, dass Traditionen nicht statisch sind, sondern sich ständig weiterentwickeln und an die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten anpassen können – und dass manchmal die köstlichsten Traditionen aus den unwahrscheinlichsten Kombinationen entstehen.