Weihnachten in Spanien ist weit mehr als nur der 24. und 25. Dezember. Es ist eine ausgedehnte, festliche Zeit, die sich von der Vorweihnachtszeit bis zum 6. Januar erstreckt und tief in religiösen Traditionen, familiärer Wärme und einzigartigen kulturellen Bräuchen verwurzelt ist. Während viele europäische Länder den Heiligen Abend oder den ersten Weihnachtstag als Höhepunkt der Feierlichkeiten betrachten, verteilt sich die spanische Weihnachtsmagie über mehrere Schlüsseldaten, wobei jedes seine eigene Bedeutung und Rituale hat. Es ist eine Zeit, in der die Straßen mit Lichtern geschmückt sind, der Duft von Turrón in der Luft liegt und die Familien enger denn je zusammenrücken.
Die Vorweihnachtszeit und der Beginn der Festlichkeiten: El Gordo
Die eigentliche Einstimmung auf die spanische Weihnachtszeit beginnt nicht mit Adventskränzen oder Weihnachtsmärkten im deutschen Sinne, sondern mit einem Ereignis, das die gesamte Nation in Atem hält: der spanischen Weihnachtslotterie "El Gordo". Am 22. Dezember findet die Ziehung der "größten Lotterie der Welt" statt, und sie ist untrennbar mit der Weihnachtszeit verbunden. Die Spannung ist landesweit spürbar, wenn die singenden Kinder des Colegio de San Ildefonso die Gewinnzahlen verkünden. Ganze Familien, Freundeskreise oder Arbeitskollegen teilen sich Lose, in der Hoffnung auf den großen Gewinn, der oft nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Dörfer oder Stadtviertel über Nacht reich machen kann. "El Gordo" ist mehr als nur ein Glücksspiel; es ist ein kollektives Erlebnis der Hoffnung und des Teilens, das die festliche Stimmung einläutet und die Menschen verbindet, lange bevor die ersten Weihnachtsglocken läuten.
Nach der Lotterie beginnen die Vorbereitungen für die eigentlichen Feiertage. Überall in Spanien werden Belénes (Krippen) aufgebaut. Diese Krippenszenen sind oft aufwendiger und detailreicher als in anderen Ländern, manchmal nehmen sie ganze Räume ein und stellen nicht nur die Geburt Christi dar, sondern auch Szenen des täglichen Lebens aus Bethlehem. Sie sind ein zentraler Bestandteil der Weihnachtsdekoration und werden von Familien, Gemeinden und sogar in öffentlichen Gebäuden ausgestellt. Weihnachtsmärkte, die Mercadillos de Navidad, sind zwar nicht so groß und zahlreich wie in Deutschland, bieten aber dennoch eine Vielzahl von Krippenfiguren, Dekorationen und traditionellen Süßigkeiten an.
Nochebuena (Heiligabend – 24. Dezember): Das Herz der Familie
Der Heiligabend, Nochebuena, ist in Spanien der wohl wichtigste familiäre Feiertag. Im Gegensatz zu vielen nordeuropäischen Ländern, wo der 24. Dezember der Haupttag der Bescherung ist, steht in Spanien das gemeinsame, ausgedehnte Abendessen im Vordergrund. Die Familien versammeln sich zu einem opulenten Festmahl, das oft Stunden dauert. Die Speisen variieren regional, aber typisch sind Meeresfrüchte wie Garnelen, Langusten und Muscheln als Vorspeise, gefolgt von einem Hauptgericht wie gebratenem Lamm (Cordero Asado), Spanferkel (Cochinillo Asado) oder Truthahn. Dazu werden erlesene Weine und der spanische Sekt Cava gereicht.
Nach dem Essen versammeln sich viele Familien um den Fernseher, um die traditionelle Weihnachtsansprache des Königs zu verfolgen. Für gläubige Spanier ist die Misa del Gallo (Mitternachtsmesse) ein fester Bestandteil der Nochebuena. Diese "Hahnenmesse" wird in Kirchen im ganzen Land gefeiert und symbolisiert die Geburt Christi. Nach der Messe kehren viele nach Hause zurück, um die letzten Stunden des Heiligabends im Kreise der Familie zu verbringen, oft mit traditionellen Weihnachtsliedern, den sogenannten Villancicos. Geschenke spielen an diesem Abend eine untergeordnete Rolle; wenn überhaupt, gibt es nur kleine Aufmerksamkeiten, da der Haupttag der Bescherung erst später folgt.
Navidad (Weihnachten – 25. Dezember): Ein ruhigerer Tag
Der 25. Dezember, Navidad, ist ein ruhigerer Tag, der ebenfalls der Familie gewidmet ist. Nach dem ausgiebigen Abendessen am Vortag steht meist ein entspanntes Mittagessen an, bei dem oft die Reste des Vortags oder leichtere Speisen serviert werden. Es ist ein Tag der Besinnlichkeit, an dem man die Gesellschaft der Liebsten genießt, Spaziergänge unternimmt oder einfach nur die festliche Atmosphäre auf sich wirken lässt. Die Straßen sind merklich ruhiger, da die meisten Geschäfte geschlossen bleiben und die Menschen die Zeit zu Hause verbringen. Auch an diesem Tag gibt es keine große Bescherung, die Kinder müssen sich noch gedulden.
Zwischen den Jahren: Unauffällige Tage und Vorbereitungen
Die Tage zwischen dem 25. Dezember und Silvester sind in Spanien weniger ereignisreich als in anderen Ländern. Der 28. Dezember ist der Día de los Santos Inocentes, vergleichbar mit dem Aprilscherz in Deutschland. An diesem Tag werden harmlose Streiche gespielt und Falschmeldungen in den Medien verbreitet. Es ist eine Zeit des Humors und der Leichtigkeit, bevor die nächste große Feierlichkeit ansteht. Die Zeit "zwischen den Jahren" wird oft genutzt, um sich auf Silvester vorzubereiten, einzukaufen und die letzten Details für die Feierlichkeiten zu planen.
Nochevieja (Silvester – 31. Dezember): Zwölf Glockenschläge und Glückstrauben
Silvester, Nochevieja, ist ein Fest des Übergangs und der Hoffnung auf ein gutes neues Jahr. Wie an Nochebuena versammeln sich die Familien zu einem ausgiebigen Abendessen, das oft mit Meeresfrüchten, Lamm oder Fisch gefeiert wird. Doch der absolute Höhepunkt und die bekannteste spanische Silvestertradition sind die doce uvas de la suerte – die zwölf Glückstrauben.
Pünktlich um Mitternacht, wenn die Glocken der Puerta del Sol in Madrid die letzten zwölf Sekunden des alten Jahres einläuten, isst jeder Spanier mit jedem Glockenschlag eine Weintraube. Diese Tradition, die angeblich Anfang des 20. Jahrhunderts in Alicante entstand, als es eine Überproduktion an Trauben gab, soll für Glück und Wohlstand im kommenden Jahr sorgen. Es ist eine nervenaufreibende, aber auch lustige Herausforderung, alle zwölf Trauben rechtzeitig zu essen, bevor der letzte Glockenschlag verklungen ist. Viele Menschen verfolgen das Spektakel live im Fernsehen, und auf den großen Plätzen der Städte versammeln sich Tausende, um gemeinsam die Trauben zu essen und das neue Jahr zu begrüßen.
Nach den zwölf Trauben und dem obligatorischen Cava-Toast strömen viele junge Leute auf die Straßen und Plätze, um mit Freunden weiterzufeiern. Die Feierlichkeiten dauern oft bis in die frühen Morgenstunden. Eine weitere beliebte Tradition ist es, in der Silvesternacht rote Unterwäsche zu tragen, da dies ebenfalls Glück für das neue Jahr bringen soll.
Año Nuevo (Neujahr – 1. Januar): Ein ruhiger Start
Der 1. Januar, Año Nuevo, ist ein ruhiger Tag, der der Erholung von den Silvesterfeierlichkeiten dient. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, und die Menschen verbringen den Tag mit der Familie, oft bei einem entspannten Mittagessen. Es ist eine Zeit, um über das vergangene Jahr nachzudenken und Pläne für das neue Jahr zu schmieden.
Der Höhepunkt: Los Reyes Magos (Heilige Drei Könige – 6. Januar)
Der absolute Höhepunkt der spanischen Weihnachtszeit, insbesondere für Kinder, ist der 6. Januar, der Tag der Heiligen Drei Könige, Los Reyes Magos. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo der Weihnachtsmann die Geschenke bringt, sind es in Spanien die Heiligen Drei Könige – Melchor, Gaspar und Baltasar –, die die Kinder bescheren.
Die Vorfreude beginnt bereits Tage zuvor, wenn die Kinder ihre Wunschzettel an die Könige schreiben. Am Abend des 5. Januar findet in fast jeder Stadt und jedem Dorf Spaniens die Cabalgata de Reyes statt, ein prächtiger Umzug, bei dem die Heiligen Drei Könige auf kunstvoll geschmückten Wagen durch die Straßen ziehen. Begleitet werden sie von ihren Pagen und anderen Märchenfiguren, die Süßigkeiten in die jubelnde Menge werfen. Es ist ein magisches Spektakel, das Kinderaugen zum Leuchten bringt und die Straßen mit Begeisterung füllt.
Bevor die Kinder ins Bett gehen, stellen sie ihre Schuhe oder Stiefel bereit, oft gefüllt mit etwas Wasser für die Kamele der Könige und etwas zu essen für die Könige selbst. Am Morgen des 6. Januar erwachen sie dann voller Aufregung, um die Geschenke zu entdecken, die die Könige über Nacht gebracht haben. Es ist der Tag der großen Bescherung, der Freude und des Spiels.
Zum Frühstück oder als Nachmittagssnack wird an diesem Tag traditionell der Roscón de Reyes gegessen. Dieser süße Hefekranz, oft mit kandierten Früchten verziert und mit Sahne gefüllt, enthält zwei Überraschungen: eine kleine Figur (oft ein König oder ein Baby Jesus) und eine Bohne. Wer die Figur findet, ist der König oder die Königin des Tages und darf die Krone tragen, die dem Kuchen oft beiliegt. Wer die Bohne findet, muss den nächsten Roscón bezahlen. Es ist ein fröhlicher Abschluss der langen Weihnachtszeit.
Regionale Besonderheiten und Kuriositäten
Spanien ist ein Land der Vielfalt, und so gibt es auch regionale Besonderheiten in den Weihnachtsbräuchen:
- Katalonien: Hier gibt es den Tió de Nadal, einen Baumstamm, der mit einer Decke bedeckt und gefüttert wird. Am Heiligabend wird er dann von den Kindern mit Stöcken geschlagen, damit er Geschenke "kackt". Eine weitere skurrile Figur ist der Caganer, eine kleine Figur, die in vielen katalanischen Krippen platziert wird und ihre Notdurft verrichtet. Er soll Glück und Fruchtbarkeit bringen.
- Baskenland und Navarra: Hier bringt nicht nur die Heiligen Drei Könige Geschenke, sondern auch der Olentzero, ein freundlicher Köhler, der am 24. Dezember die Kinder beschenkt.
- Andalusien: In Andalusien sind die religiösen Aspekte der Weihnacht oft noch stärker ausgeprägt, mit besonderen Weihnachtsliedern (Villancicos Flamencos) und Prozessionen.
Fazit
Die spanische Weihnachtszeit ist somit ein facettenreiches Mosaik aus tief verwurzelten Traditionen, die von tiefer Religiosität, familiärer Verbundenheit und einer einzigartigen Lebensfreude geprägt sind. Von der kollektiven Spannung der Weihnachtslotterie über die herzlichen Familienessen an Nochebuena und die aufregende Silvesternacht mit den Glückstrauben bis hin zum magischen Höhepunkt der Heiligen Drei Könige – jede Phase dieser festlichen Zeit hat ihren eigenen Charme. Es ist eine Periode, in der das öffentliche Leben zwar zur Ruhe kommt, aber die Herzen der Menschen umso mehr zusammenrücken. Weihnachten in Spanien ist ein Fest für alle Sinne, voller Wärme, Lichter, Düfte und vor allem – voller Magie und der Freude am Zusammensein. Es ist eine Zeit, die man erlebt haben muss, um ihre ganze Schönheit und Einzigartigkeit zu verstehen.